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Beitrag vom 20.11.2016
Warum Frauen Berge besteigen sollten - Eine Reise durch das Leben und Werk von Dr. Gerda Lerner. Regie: Renata Keller. Ab September 2016 auf DVD bei absolut Medien
Helga Egetenmeier
Im Alter von 92 Jahren stimmte die 1920 als Gerda Hedwig Kronstein geborene Historikerin Gerda Lerner doch noch zu, einen Dokumentarfilm über sich drehen zu lassen. Sichtbar wird darin eine kraftvolle Persönlichkeit, die als politisch wirkende Frau...
...schreibend und engagiert den feministischen Diskurs prägte.
Ihr ganzes Leben umspannend, greift die Regisseurin besonders die schweren Zeiten auf, von denen die Historikerin und ihre Arbeiten beeinflusst waren.
"Ich will mein Leben nicht in Verheimlichung meines Werdegangs beenden.", schreibt Gerda Lerner im Vorwort ihrer 2002 auf Deutsch erschienenen Autobiografie "Feuerkraut. Eine politische Biografie" (Fireweed. A Political Autobiography). Letztendlich scheint dieser Gedanke ausschlaggebend gewesen zu sein, dem Gesuch von Renata Keller nachzugeben. Ein Gewinn, für die sich verstärkt visuell vermittelnde Geschichtsschreibung, diese durch viele Wendungen in ihrem Leben geprägte feministische Historikerin als Zeitzeugin auf der Leinwand bewahrt zu sehen.
Die Lebensgeschichte der 1920 in eine wohlhabende jüdische Wiener Familie hineingeborene Gerda Hedwig Kronstein beginnt mit der für diese Zeit unüblichen freiheitlichen Lebensweise ihrer Eltern und ist schon früh durch die Verfolgung durch die Nationalsozialisten geprägt. Nachdem Gerda und ihre Mutter von den Nazis mehrere Wochen in Haft genommen wird, gelingt die Flucht. Mit ihrer Mutter und jüngeren Schwester Nora emigriert Gerda 1938 zuerst nach Liechtenstein, wohin der Vater schon zuvor geflüchtet war. Kurz darauf trennen sich ihre Wege jedoch endgültig. Nora geht in die Schweiz, überlebt, und arbeitet ab 1962 als Künstlerin in Israel. Ihre Mutter Ilona (Ili) Kronstein, geborene Neumann flieht nach Südfrankreich, wird mit Tausenden anderen jüdischen Flüchtlingen, darunter Charlotte Salomon und Hannah Arendt, in Gurs interniert. Sie starb 1948 im Alter von 51 Jahren.
Gerda Kronstein kann sich 1939 nach New York retten und heiratet, um vom Schiff an Land gehen zu dürfen. Als die Ehe kurz darauf geschieden wird, kämpft sie sich zuerst mit kleinen Jobs durchs Leben. Bis sie 1958 ihr erstes Studium an der New Yorker New School for Social Research beginnt, durchlebt sie mit ihrem zweiten Mann, dem Filmemacher Carl Lerner, die sie wieder in die Armut treibende Kommunistenverfolgung der McCarthy-Ära. Sie engagiert sich in der Frauenbewegung, der Friedensbewegung und der Gewerkschaft, und bekommt zwei Kinder.
Die Regisseurin lässt ihren Film im Heute der 92-jährigen Gerda Lerner beginnen, in deren Wohnzimmer in Madison. Durch ihre Fragen führt sie die Historikerin zurück in deren Kindheit und Jugend. Stringent bei der chronologischen Erzählung von Lerners Lebenswegs bleibend, begleitet und ergänzt sie deren Antworten durch historisches Film- und Bildmaterial, Interviews mit ihrer Schwester Nora und mit Freundinnen und Kolleginnen. Somit baut Renata Keller Stück für Stück an dem vieldimensionalen Bild dieser leidenschaftlichen feministischen Historikerin und ihrer Auseinandersetzung mit dem Patriarchat als Gesellschaftsstruktur, deren Regel Nummer 1 lautet: niemand hat den Frauen etwas gegeben, sie mussten sich alles erkämpfen.
1963 gab Gerda Lerner an der New York University den weltweit ersten offiziellen Kurs zur Frauengeschichtsschreibung. Neben ihrer umfassenden und wegweisenden Quellensammlung "Black Women in White America: A Documentary History" von 1967, zählen zu ihren wichtigsten Büchern ihre 1986 veröffentlichte Abhandlung "Die Entstehung des Patriarchats" und "Die Entstehung des feministischen Bewusstseins" von 1993.
Trotzdem die Regisseurin viele Details aus Gerda Lerners Leben zusammen trägt, wirkt der Film nie überladen. Auch lässt sie die emotionalen Momente stehen, in denen die Historikerin zögernd, und dabei mutig ihre Zerbrechlichkeit unterdrückend, auf die Nachfragen zu ihrer Kindheit und Jugend antwortet. Auf akademischem Terrain fühlt Gerda Lerner sich jedoch sichtlich wohler und verweist scherzhaft auf die Roben ihrer achtzehn Ehrendoktortitel, aus denen sie etwas Nützliches machte: einen bunten Wandbehang für ihr Wohnzimmer.
So gut ausgewählt die im Bonusmaterial enthaltenen Interviews auch sind, wie die humorvolle Erzählung von Bonnie Johnson, Professorin der Geschichte, die mit Gerda Lerner in Österreich Urlaub machte, wäre an dieser Stelle ein Interview mit ihrer Schwester, der Künstlerin und Textildesignerin Nora Kronstein-Rosen zur weiteren Familiengeschichte noch sehr interessant gewesen.
Titelgebend für den Film ist dieses Gedicht von Gerda Lerner, Jahr unbekannt:
Reasons why women
young and old
should climb mountains:
The rocks require
neither support
nor service.
Surefootedness is only
the balance between
that which is possible
and that which might have been
It easier on the rocks
they do not pretend
to false kindness
Rocks are what they are
that´s all. Their indifference
sometimes supports,
sometimes rebuffs. Endurance
and frozen passion come
to the same hard end
AVIVA-Tipp: Humorvoll und politisch, ihre theoretischen Vorstellungen nicht von den praktischen trennend und dennoch sprühend wie auch bescheiden im Auftreten, so zeigt der Film die Feministin Gerda Lerner. Damit gelingt, was der 2013 gestorbenen Historikerin immer wichtig war, den von seiner persönlichen Geschichte geprägten Menschen zu zeigen, welche auch immer eine politische Geschichte ist.
Zur Regisseurin und Produzentin Renata Keller: Die Künstlerin, Filmemacherin und Grafikerin wohnt in Berlin und London und arbeitet seit über 25 Jahren im Bereich der Visuellen Künste, leitet das Art-Büro Vertical Impulse und ist Geschäftsleiterin und Art Director des evolve Magazin. Sie studierte Dokumentarfilm und machte 2007 mit "The Future Speaks Ruthless Through Her" ihre erste Dokumentation, indem sie neun unterschiedliche Frauen zu ihrer Vorstellung von der Zukunft der Frauen befragte. Zwei Kurzdokus, "Feminista" und "Truth Heals", folgten und ihr Interesse an der Entwicklung von Frauen führte sie nun zu Gerda Lerner.
Quelle: www.verticalimpulse.com)
Warum Frauen Berge besteigen sollten. Eine Reise durch das Leben und Werk von Dr. Gerda Lerner
Originaltitel: Why Women Need to Climb Mountains
Regie und Produktion: Renata Keller
absolut Medien: deutschsprachiger Vertrieb der DVD, September 2016
Sprache: Deutsch und englisch mit deutschen Untertiteln
Lauflänge: 90 Minuten + 36 Minuten Bonusmaterial (fünf Bonusfilme)
Bild: PAL, Farbe, Ton: Dolby Stereo
17,39 Euro
www.absolutmedien.de
Weitere Informationen finden Sie unter:
www.gerdalerner.com
www.womenneedtoclimbmountains.com
Jewish Women´s Archive
www.fembio.org
Bücher von Gerda Lerner (deutschsprachige Auswahl):
Feuerkraut. Eine politische Autobiographie. Czernin, Wien 2009
Zukunft braucht Vergangenheit. Warum Geschichte uns angeht. Helmer, Königstein/Taunus 2002
Die Entstehung des feministischen Bewusstseins. Vom Mittelalter bis zur ersten Frauenbewegung (= Frauen und Geschichte. Bd. 2). Campus, 1993
Die Entstehung des Patriarchats (= Frauen und Geschichte. Bd. 1). Campus-Verlag, Frankfurt am Main u. a. 1991
1979 Frauen finden ihre Vergangenheit. Grundlagen der Frauengeschichte. Campus-Verlag, Frankfurt am Main u. a. 1995
Ein eigener Tod. Der Schlüssel zum Leben. Böhme und Erb, Düsseldorf 1979
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